Der nordische Götterkanon zählt zu den bekanntesten und populärsten auf der Welt. Von Gottheiten, die Naturgewalten kontrollieren, über legendäre Waffen und Schauplätze bis hin zu epischen Schlachten bietet die nordische Religion viel Stoff für eindrucksvolle Geschichten. Die faszinierende Welt der Wikinger-Götter offenbart jedoch umso mehr, wenn man sich genauer mit ihr beschäftigt. Die Götter der Wikinger haben schließlich nicht nur viele Geschichten und Mythen hinterlassen, sondern auch einen großen Einfluss auf die einzigartige Kultur des skandinavischen Volkes genommen.
Der Schöpfungsmythos: Ursprung der nordischen Götter
Mehrere Geschichten aus der nordischen Mythologie können zu den Schöpfungsmythen gezählt werden. Der Ausgangspunkt ist die Existenz des Wesens Buri, das als Stammvater der Götter gilt und bereits vor der Weltschöpfung gelebt hat. Zu seiner Zeit existierten bereits außerdem Eisriesen, von denen er eine der Töchter zur Frau nahm und mehrere Kinder zeugte. Die Geschichte zur Entstehung der Welt beginnt allerdings mit Ginnungagap, was wörtlich „Kluft der Klüfte“ bedeutet.
Dabei handelt es sich um einen urzeitlichen Abgrund, der die verschiedenen Welten voneinander trennte. Südlich des Abgrunds lag das glühende Land des Feuers Muspellsheim und im Norden das kalte Land des Eises Nilfheim. Diese Idee eines ursprünglichen Chaos hat die Mythologie der Wikinger mit vielen anderen Kulturen gemeinsam. Die Eisströme des Nordens vermischten sich schließlich mit der Glut des Südens, wodurch der Riese Ymir entstand.
Spätere Nachkommen des Göttervaters Buri waren schließlich Odin und seine weniger bekannten Brüder Vili und Ve. Gemeinsam töteten sie den Riesen Ymir und formten dadurch die Welt. Aus dem Fleisch wurde die Erde, aus dem Blut das Meer, aus seinen Knochen Gebirge und aus seinem Schädel der Himmel.
Odins Familie und ihre Mythen
Odin: Die wichtigsten Familienverhältnisse in der nordischen Mythologie lassen sich auf Odin zurückführen. Als Nachfahre von Buri galt er bei der Tötung von Ymir als oberster Gott. Als einer der Schöpfer der Welt nimmt er eine besondere Rolle im Götterkanon ein und wurde Vater von einigen der bekanntesten Wikingergottheiten. Odin selbst wird neben seiner Rolle als Göttervater oft als Gott des Krieges und der Toten beschrieben. Er herrscht über dem Götterpalast Valaskjalf und Valhalla, dem Paradies der Wikinger.
Alle Krieger, die im Kampf gefallen sind und sich als tapfer erwiesen haben, verbringen ihr Leben im Jenseits in Valhalla. Diese Vorstellung ist kulturell einer der wichtigsten in der Religion der Wikinger, denn es ermutigte die Seefahrer zur Erkundung neuer Welten sowie zu Plünderungen und Eroberungen.
Odin empfängt die Helden in Valhalla persönlich und wird als alter Mann mit grauem Bart beschrieben. Eine weitere traditionelle Rolle, die Odin zugeschrieben wird, ist die des Gottes der Redegewandtheit und Klugheit. Bekannt ist außerdem das achtbeinige Pferd Sleipnir, mit dem Odin reiten und auch fliegen kann.
Frigg: Als Göttermutter und Gemahlin Odins ist Frigg bekannt. Ihre Schwester ist Fulla, die jungfräuliche Göttin der Fülle und Spenderin von Segen sowie Reichtum. Friff hat wie ihre Schwester ein Falkengewand und wohnt im Palast Fensal. Sie ist die Göttin der Fruchtbarkeit sowie Liebe und gilt als Muttergöttin ebenfalls als Schutzgöttin des Lebens und der Ehe. Darüber hinaus werden ihr hohe Kenntnisse über das Schicksal in der Welt nachgesagt, doch sie weigert sich, darüber zu sprechen.
Balder: Odin zeugte mit Frigg Balder, den Gott der Reinheit, Schönheit und Gerechtigkeit. Er gilt als besonderer Schützling von Frigg, die sich in der Sage für ihn einsetzt. Eines Tages träumt Balder von seinem Tod, woraufhin seine Mutter jedes Lebewesen und jedes Ding zu einem Eid auffordert. Jedes Tier und jede Pflanze sowie alle leblosen Dinge mussten schwören, Balder nie zu verletzen.
Dabei übersah Frigg den Mistelzweig, der als zu unbedeutend erschien. Bei einem Wettkampf galt Balder nun als unbesiegbar, weswegen der Gott Loki neidisch und wütend wurde. Loki gab Balders blindem Bruder Hödur einen Mistelzweig, damit er damit auf Balder schießt. Dadurch starb Balder und er wurde nach Wikingertradition auf einem Boot beigesetzt, das mit Feuer entzündet wurde.
Thor: Einer der bekanntesten Götter der Wikingerwelt ist Thor, der Gott von Donner und Gewitter. Ebenfalls gilt er als ein Gott der Fruchtbarkeit und er nimmt als Beschützer vor den Riesen eine besondere Rolle ein. Odin zeugte Thor mit Jörd, einer Erdgöttin in der nordischen Mythologie.
Die Geschichten um Thor umfassen viele Kämpfe gegen Riesen und andere Monster, sodass er sich bei den Wikingern großer Beliebtheit erfreut hat. Bekannt ist Thor besonders durch seinen Hammer Mjölnir. Mit diesem kontrolliert er seine Kräfte und er kämpft gegen die Gefahren, die sowohl die Götter als auch die Menschen bedrohen. Er gilt zudem als sehr trinkfest, was auf den Festen der Wikinger besungen wurde.
Vali: Mit der Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Rinda zeugte Odin Vali. Bereits einen Tag nach seiner Geburt übte er Rache an dem blinden Halbbruder Hödur, der Balder durch die List Lokis aus Versehen getötet hatte.
Walküren: Wie in vielen Mythologien gibt es manchmal widersprüchliche Aussagen oder diverse Interpretationen in der Forschung. Die Vaterschaft von Odin über andere Götter und Wesen ist unklar, wozu auch die Walküren zählen. Diese sind weibliche Geistwesen, die als mächtige Kriegerinnen im Gefolge von Odin stehen. Manchmal werden sie als seine Töchter bezeichnet, doch oft gelten sie lediglich als seine Untergebenen. Die Valküren sorgen dafür, dass in der Schlacht gefallene Krieger an Odins Tafel der Helden gebracht werden.
Andere wichtige Gottheiten
Loki: Die Abstammung Lokis ist umstritten und auch seine Rolle in Geschichten ist wechselhaft. Beispielsweise ist er für den Tod von Balder verantwortlich, doch er begleitet auch Thor oft bei seinen Reisen und half ihm beispielsweise dabei, seinen Hammer Mjölnir wiederzubeschaffen. Dies kommt allerdings seiner traditionellen Zuordnung als Gott der Täuschung und Betrügerei nahe. Er wird als unbeständig und heimtückisch beschrieben, gilt jedoch ebenfalls als anmutig und redegewandt.
Wenn seine Interessen mit dem eigenen Vorhaben vereinbar sind, kann er ein wertvoller Verbündeter sein, doch bei Gefahren wird er als Erstes sich selbst retten. Eine Rolle von Loki ist Gott des Feuers ist ebenfalls zutreffen, diese ist aber eher untergeordnet und bei modernen Interpretationen des Charakters am häufigsten anzutreffen.
Heimdall: Nach überwiegend modernen Interpretationen ist Heimdall ein weiterer Sohn Odins, doch Genaueres ist in den ursprünglichen Mythen nicht benannt. Er ist ein bedeutsamer Schutzgott sowie der Gott des Sonnen- und Tageslichts. Als Wächter zeichnet ihn aus, dass er besonders wenig Schlaf benötigt und selbst in der Dunkelheit hunderte Meilen weit klar sehen kann.
Somit bewacht er zuverlässig die himmlische Brücke Bifrost, die die Himmelswelt mit der Welt der Menschen verbindet. Die Wikinger sahen Regenbögen als Erscheinungen von Bofrost an, doch auch die Nordlichter wurden auf diese Weise interpretiert. Als sehr gütiger Gott gilt er als Gegensatz und Feind von Loki. Für den Weltuntergang Ragnarök wird vorhergesagt, dass Loki und Heimdall ein letztes Mal aufeinander treffen werden.
Tyr: Als mächtiger Himmels- und Kriegsgott war Tyr ursprünglich der oberste nordische Gott, was sich in der Mythologie selbst allerdings nicht widerspiegelt. Tyr ist bei den Germanen der Hochgott gewesen und in der besonderen Wikingerkultur wurde er allmählich vom aufkommenden Odinkult verdrängt. Die ursprüngliche Bedeutung zeigt sich noch durch die Abstammung Tyrs, da er wie Frigg der Nachkomme eines alten Riesen war.
In neueren Geschichten der Mythologie wurde diese ebenbürtige Darstellung im Vergleich zu Odin allerdings vergessen und er gilt oftmals sogar als ein Sohn Odins. Als Gott über den siegreichen Krieg wird er jedoch respektiert und seine Tollkühnheit war ein Vorbild für die Wikingerkrieger. Bei den Darstellungen Tyrs fällt oft auf, dass er nur eine Hand besitzt. Das geht auf die Saga zu Fenrir zurück. Dabei handelt es sich um einen mächtigen Dämon, der die Form eines Wolfes angenommen hat. Fenrir ist ein Sohn von Loki und hat Tyr die Hand abgebissen, als er von den Göttern gefesselt wurde.
Bragi: Als Gott der Dichtkunst nimmt Bragi eine einzigartige Rolle ein. Bei vielen Charakteristiken von Göttern als z. B. Schutz- oder Erdgottheit gibt es oftmals Überschneidungen, was bei Bragi allerdings nicht der Fall ist. Bragi wird als alter Mann mit langem Bart dargestellt und gilt als erster Skalde überhaupt.
Skalden waren die höfischen Dichter im skandinavischen Mittelalter, die es ebenfalls in Island gab. Seine Fähigkeiten bekam er durch magische Runen auf seiner Zunge, die ihm die Jugend- und Fruchtbarkeitsgötting Idun eingeritzt hat. Eine Auseinandersetzung gab es nach dem Tod Balders, als Loki eine Schmährede über die Götter abhalten will. Bragi droht Loki, doch dieser lässt sich davon nicht beeinflussen.
Hel: In jeder Mythologie nehmen Götter der Unterwelt eine besondere und wichtige Rolle ein. Helheim ist die Unterwelt und eine der neun Welten, die durch den Urbaum verbunden sind. Wichtige andere Welten sind beispielsweise Asgard, die Heimat von Odin, die Riesenwelt Jotun sowie Midgard, die Welt der Menschen. Durch die Verbindung der Welten können unehrenhaft gestorbene Menschen und Götter in die Unterwelt verbannt werden.
Hel ist hier die Herrscherin und wie in anderen Mythologien ist die Unterwelt ein unangenehmer Ort. Helheim ist von Trauer und Dunkelheit geprägt und Monster können von hier in andere Welten gelangen. Hel selbst wurde ursprünglich nach Helheim verbannt, da es sich um eine Tochter Lokis handelte. Da sich die Götter vor Lokis Kindern fürchteten, durften sie nicht in Asgard bleiben und Hel gründete ihr eigenes Reich. Mörder und Diebe, aber auch Lügner erleiden hier Hunger, Schmerzen und andere ewige Leiden.
Yggdrasil und Ragnarök: die wichtigsten Mythen
Neben der Schöpfungsgeschichte und den einzelnen Mythen der Götter gibt es weitere wichtige Erzählungen, die die gesamte Götterwelt der Wikinger betreffen. Zum einen der Weltenbaum Yggdrasil zu nennen, der nach dem Tod des Riesen Ymirs gewachsen ist. Seine Äste reichen um die gesamte Götterwelt und bis zum Himmel, während seine Wurzeln an den drei größten Quellen liegen. Ob Gott, Riese oder Mensch – das Wohlbefinden und die Sicherheit der Welt hängen von Yggdrasil ab.
Wenn Yggdrasil zu welken beginnt, wird das Ende der Welt eingeläutet. Diese Apokalypse heißt Ragnarök und ist vermutlich die bekannteste Geschichte in der nordischen Mythologie. In einem großen Kampf zwischen den Göttern und den Riesen geht die gesamte Welt unter, woran sich Katastrophen wie die Eiszeit namens Fimbulwinter anschließen. Viele bekannte Götter sind in der Sage von Ragnarök verwickelt. Die Riesen kommen mit Loki und Monstern aus der Götterwelt über die Himmelsbrücke.
Heimdall warnt mit seinem Horn die anderen Götter, bevor er und Loki sich gegenseitig umbringen. Der Hund Garm aus der Unterwelt und Tyr töten sich ebenfalls gegenseitig. Thor hingegen bezwingt zwar zunächst die große Midgardschlange aus dem Urmeer, doch stirbt danach an ihrem Gift. Der Wolf Fenrir verschlingt Odin und wird danach von Vidar erschlagen, der als ein Sohn Odins und der Eisriesin Grid gilt. Letzten Endes entsteht durch den Weltuntergang ein neues Gleichgewicht und ein wiedergeborener Odin erschafft schließlich die Welt neu.
Zurück zur Startseite